In der aramäischen und hebräischen Sprache gibt es nur einen gemeinsamen Begriff für Wort und Tat. Erst in der griechischen Kultur erfolgt die Trennung zwischen Sprechen und Handeln. Tatsächlich gibt es Situationen, in denen man daran zweifelt, ob die Handelnden die Gleichen wie die Sprechenden sind. Ja sagen und nein tun ist zumindest in Ostösterreich eine durchaus gängige Praxis.
Es geht um innere & äußere Stimmigkeit – und damit um unsere Glaubwürdigkeit.
„Glück ist erreicht,
wenn das, was du denkst, was du sagst, was du tust,
in Einklang sind.“Mahatma Gandhi
Worte wirken
„Im Anfang war das Wort.“
heißt es im Evangelium nach Johannes. „Und das Wort ist Fleisch geworden.“
Im jüdischen Talmud finden sich die vielzitierten Worte:
„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden zu deinen Worten.
Achte auf deine Worte, denn sie werden deinen Taten.
Achte auf deine Taten, denn sie werden deine Gewohnheit.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.“
Das Zauberwort „Simsalabim“ leitet sich von „Bismillah“, dem Beginn islamischer Gebete, ab. Die drei großen Buch-Religionen sind sich darin einig, den Worten große Macht und Wirkung zuzuschreiben. Und sie finden Bestätigung in den aktuellen neurobiologischen Erkenntnissen der Hirnforschung.
Ordnende Wirkung des Sprechens
Heinrich Kleist hat in seinem berühmten Aufsatz „Die forschende Rede“ die Gedanken ordnende Wirkung der Worte beschrieben:
„Wie mit dem Essen der Appetit kommt, kommt mit dem Reden das Denken.“
Tatsächlich: Was wir nicht auf den Begriff bringen können, können wir auch nicht begreiflich machen – und wir können es nicht aufgreifen. Wenn „begreifen“ in der deutschen Sprache sowohl eine handgreifliche als auch ein kognitive Bedeutung des Verstehens hat, so ist dies neurobiologisch höchst zutreffend: unser Denken ist eng mit kinästhetischen Bewegungsabläufen verbunden. Fingerrechnen, das Mitzeigen beim Lesen und das Gehen beim Nachdenken fördert unsere Lernfähigkeit. Für Kleist‘s bekanntes Zitat
„Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage.“
gilt der Grundsatz von Paracelsus:
„Die Dosis macht das Gift.“
Es ist auf keinen Fall ein Plädoyer für vorschnelle Aussagen ohne nachzudenken.
Selbsterfüllende Prophezeihungen durch Worte
„Abracadabra“ könnte auf aramäische und/oder hebräische Sprachwurzeln zurückgehen. Die ursprüngliche Bedeutung im einen und im anderen Fall: „Ich werde geschaffen während ich spreche.“ und: „Ich schaffe während ich spreche.“ Tatsächlich schaffen Worte Wirklichkeit im Innen und im Außen. Aussagen erzeugen selbsterfüllende Prophezeiungen. Das gilt für Finanzmärkte in besonderer Weise, wie es sich auch in diesem Witz spiegelt:
„Ein Investor will in den Himmel. Petrus gibt die ernüchternde Antwort: ‚Keine Chance! Es gibt nicht so viele Plätze für Investoren im Himmel – und die sind hoffnungslos überfüllt.“ Der Investor versucht: ‚Darf ich mit meinen Ex-Kollegen im Himmel sprechen.‘ Petrus: ‚Völlig ausgeschlossen. Mit den Menschen im Himmel kann nicht gesprochen werden.‘ Der Investor beharrlich: ‚Na dann wenigstens eine kurze schriftliche Nachricht.‘ Petrus gutmütig: ‚Gut, ich mache eine Ausnahme und gestatte ihnen maximal 10 Worte.‘ Der Investor schreibt auf ein Papier, das er in ein verschlossenes Kuvert steckt: ‚Öl in der Hölle gefunden.‘ Die Investoren im Himmel lesen die Nachricht und verlassen fluchtartig den Himmel in Richtung Hölle. Petrus ist sehr verwundert und meint strahlend zum Investor: ‚Jetzt können Sie in den Himmel. Es sind wieder Plätze frei.‘ Dieser nachdenklich: ‚Ich weiß nicht, ich weiß nicht, … Alle gehen in die Hölle. Da muss ich auch in die Hölle. Vielleicht ist etwas dran am Gerücht!‘“
Politische EntscheidungsträgerInnen und Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit sollten sich der Verantwortung und der Reichweite in der Wirkung ihrer Aussagen noch klarer bewusst sein.
Bei so mancher Meldung in den Medien denke ich an die Aussage von Bertrand Russell:
„Es ist ein Jammer, dass die Dummköpfe so selbstsicher
und die Klugen so voller Zweifel sind.“
Sprache als Beziehungskitt
Joachim Bauer, Professor an der medizinischen Fakultät an der Universität Freiburg, beschreibt in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren“, das aggressive Worte in unserem Gehirn praktisch die gleiche neurobiologische Wirkung auslösen wie körperliche Bedrohungen. Messerstechereien werden in keinem Unternehmen geduldet. Gewaltvolle, verletzende Worte werden hingegen häufig praktiziert und toleriert. Dabei gilt der Grundsatz von Ludwig Wittgenstein:
„Auch Worte sind Taten.“
Hirnforscher machen sich stark für sozialen und emotionalen Umweltschutz. Die wienerische Androhung „Nicht einmal ignorieren …“ fällt tatsächlich in die Kategorie passive Gewalt durch Kommunikationsverweigerung und Ausschluss aus der Gemeinschaft.
Veränderungen im Spiegelbild der Sprache
„Hokuspokus“ ist auch ein sehr bekannter Zauberspruchformel. Es hat seinen Ursprung in der lateinischen Formel zur Wandlung in christlichen Messen: „Hoc est (enim) corpus meum“ – das ist mein Körper. Tatsächlich verändert es auch Sichtweisen, wenn man zu anderen Worten greift. Eine Steuerberaterin spricht seit einem Training mit mir nur mehr von ihren MitdenkerInnen statt ihren MitarbeiterInnen. Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriemärkte hat aus tiefer Überzeugung die Bezeichnung Personalkosten durch MitarbeiterInnen-Einkommen ersetzt. Ich ziehe es konsequent durch, „PROblem“ oder „End-Täuschung“ zu schreiben, um so zu verdeutlichen, dass PROblem (und nicht CONTRAblem) wörtlich „zur Lösung vorgelegt“ bedeutet und „End-Täuschungen“ die Klarheit fördern, weil sie uns, wenn auch oft schmerzlich, von Täuschungen befreien. Vor vielen Jahren habe ich für eine Bank ein Training „Vom Bankbeamten zum Finanzdienstleister“ gestaltet. Wir haben ein Vokabelheft erstellt, welche Worte der Eine und welche der Andere gebraucht: z.B. AntragstellerInnen versus KundInnen.
In unserer deutschen Sprache verfügen wir über etwas 500 000 Worte. Im aktiven Wortschatz beschränken wir uns auf einen Bruchteil davon. Etwa 20 % der Worte verbinden wir mit positiven Gefühlen z.B. sonnig, strahlend, Urlaub, Erfolg. Doppelt so viele Worte lösen negative Assoziationen aus z.B. anstrengend, mühsam, arm, hungrig, Stau, Druck, Stress, plagen, ertragen. Die restlichen Worte sind neutral oder kaum emotional belegt z.B. Fußboden, Dachrinne, Oberarm. Vera Birkenbihl hat gemeinsam mit Peter Gerlach das höchst nützliche Büchlein „Das positive Denken von A bis Z“ geschrieben. Darin finden Sie ein Vokabelheft positiv besetzter Worte.
Vertrauenswürdigkeit durch Stimmigkeit
Wichtig ist es, beim Sprechen glaubwürdig zu bleiben, und sich bewusst zu sein, dass im Zweifelsfall der nonverbalen Kommunikation der Stimme, Mimik, Gestik und des körperlichen Ausdrucks mehr Glauben geschenkt wird als dem Wortlaut.
„Worte zeigen, was jemand gerne wäre.
Tatenzeigen, was von jemanden wirklich zu halten ist.“
Um nachhaltige Veränderung zu bewirken braucht es einen stimmigen Wandel der inneren Werte, Einstellungen und Haltungen sowie der äußeren Worte UND Taten. Nichts hat größeren Einfluss auf das unbezahlbar-wertvolle Gut Vertrauen als das Verhalten in kritischen Situationen. Warren Buffet hat das pointiert ausgedrückt:
„Man muss auf die Ebbe warten,
um zu sehen, wer nackt schwimmt.“
Alice Miller hat treffend formuliert:
„Wenn Menschen Liebe gepredigt wird, lernen sie nicht lieben, sondern predigen.“
Genauso paradox ist es, für eine gute Sache zu kämpfen, oder, wenn eine tolle Idee wie eine Bombe einschlägt. Marshall Rosenbergs Ansatz der gewaltfreien, empathischen Kommunikation ist ein wichtiger Beitrag zu einem konstruktiven Miteinander.
Bewusster Umgang mit Worten
Sinnvoll ist auch – durchaus in der Tradition des Redestockes – bewussst das Wort zu ergreifen. Die 3 Siebe des Sokrates haben nichts an Gültigkeit eingebüßt:
- Wahrheit: Stimmt es tatsächlich?
- Güte: Dient es dem Wohl des anderen?
- Erfordernis: welchen Nutzen bewirkt es?
Die moderne Form davon lautet:
„Before you speak: T H I N K“
- T is it true ?
- H is it helpfull?
- I is it inspiring?
- N is it necessary?
- K is it kind?
Und Elias Canetti mahnt:
„Man muss aufhören,bevor man alles gesagt hat.
Manche haben alles gesagt, bevor sie beginnen.“
Dieser Blog ist ursprünglich in ähnlicher Form am 18.10.2015 auf biallo.at erschienen.
Über: Monika Herbstrith-Lappe
Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln
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