Theater-Regie-Impulse für High Performance im Business:

Es heißt, der Entwurf für ein Theater sei zugleich der Entwurf für eine Gesellschaft. Nicht zufällig verstehen wir unter Performance sowohl eine künstlerische Aufführung als auch die Leistung von Unternehmen. Es gibt viele Parallelen zwischen den Theater- und den beruflichen Bühnen.
Wenn wir anderen Ideen schmackhaft machen möchten, Verbündete gewinnen wollen, Veränderungen anstreben, in einer Verhandlung gute Ergebnisse anpeilen oder etwas verkaufen, so inszenieren wir. Wir wollen unser Anliegen ins rechte Licht rücken. Eine gute Dramaturgie ist für das Gelingen von Gesprächen, Verhandlungen, Führungs-, Veränderungs- und Verkaufsprozesse erfolgsentscheidend.

Wie gehen Theater-Profis vor, wenn sie Botschaften vermitteln, Emotionen erzeugen und Menschen bewegen wollen?

bullet-15

Parallen zw. Theater & Business:

In Unternehmen wie im Theater geht es darum, Kernwerte und Kernbotschaften in wahrnehmbarer Form zu gestalten und die Zielgruppe in das Geschehen eintauchen zu lassen. Regieführen ist nicht nur ein künstlerischer sondern auch ein Führungsprozess. Wie gelingt es, gemeinsam mit einem Team Ideen und Konzepte zu verwirklichen?

Der Einzelne im Zusammenspiel mit den anderen im Ensemble ist das zentrale Thema für gemeinsame High Performance. Dazu Max Reinhardt in seiner berühmten „Rede über den Schauspieler„, im Februar 1928 an der Columbia Universität in New York:

„Diese Kunst ist eine gemeinschaftliche Kunst,
eine Ensemblekunst und nur im Ensemble,
in dem einer für alle und alle für die Sache wirken,
blüht das unverwelkliche Wunder des Theaters.“

„Wie inszenieren Theaterregisseur:innen und was können Führungskräfte daraus lernen?“

war meine Zielsetzung für zahlreiche Interviews und Gespräche mit mehreren Regisseur:innen:

Rosee Riggs hat an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Schauspielregie unterrichtet und ist jetzt Professorin für Grundlagen der Rollengestaltung am Max Reinhardt Seminar, ein Fach in dem sich die neu aufgenommenen StudentInnen zum Ensemble formen. Ihre Inszenierungen wurden mit mehreren Theaterpreisen ausgezeichnet. In ihrem Nachwort zum Buch „Der Schauspieler und das Ziel“ von Declan Donnellan (Alexander Verlag Berlin) schreibt sie:

„Ein Schauspieler ist jemand,
der wegen seiner überhöhten Wahrnehmung der Begebenheiten im Leben imstande ist,
Geschichten zu erfassen und sinnlich erfahrbar zu machen.“

Friedrich Schiller beschreibt den spielenden Menschen als den, der in der Lage ist, sein höchstes Potenzial zu erreichen. Spiel als Mittel, sich selbst zu entdecken, unserer Fantasie freien Lauf zu lassen und unsere Entdeckungen mit anderen zu teilen.

Den Sinn der Ideen versinnlichen

Die Macht der sinnlichen Vorstellungskraft und der positiven Emotionen zu nutzen, ist auch ein zentrales Prinzip des Mentaltrainings, das zunehmend nicht nur im Leistungssport sondern auch von Führungskräften praktiziert wird. Spätestens seit dem Kult-Motivationsbuch „Fish“ ist die spielerische Leichtigkeit als wesentlicher Erfolgsfaktor vielen Menschen bewusst. „Spielend zum Ziel“ ist ein kluges Motto für nachhaltig gesunde Leistungsstärke auf Basis von Lebensfreude.

Rosee Riggs: „Die Energie für den fordernden Prozess kommt von Freude, weil ohne Freude alle ihren Humor und ihre Fantasie verlieren und das ist das Schlimmste, was dir passieren kann. Falls das passiert, wenn ein Krampf einkehrt, dann löse ich das Problem sofort, wenn ich kann, so dass die Betroffenen das Ganze nicht als Problem begreifen sondern als ein Geschenk. Wenn ich das Problem zeitnah nicht lösen kann, weil ich müde bin, breche ich die Probe ab, wir trinken ein Glas Sekt und schlafen eine Nacht darüber. Deshalb ist es so wichtig, immer ausgeruht und so fit wie möglich zu sein, so hast du noch Ressourcen, mit Hürden umzugehen.“ Aus meiner Sicht als High Performance Coach ist es auch die Führungsaufgabe mit der größten Hebelwirkung, immer wieder bewusst dafür zu sorgen, selbst „gut drauf zu sein, wenn es drauf ankommt“. Denn nichts hat größeren Einfluss auf die Produktivität und Motivation von MitarbeiterInnen als das Verhalten der direkten Führungskraft in kritischen Situationen.

Macht der Emotionen

Eine der revolutionärsten Erkenntnisse der modernen Hirnforschung ist die Schnelligkeit und die Macht der Emotionen. Der renommierte Neurowissenschafter Antonio R. Damasio hat eines seiner Bücher „Descartes’ Irrtum” genannt. Dessen Devise “Cogito ergo sum”, die auch dazu geführt hat, dass Mitarbeiter häufig auf Headcounts reduziert werden, war historisch bedeutsam und stellt sich jetzt als zu kurz greifend heraus. Schon C.G.Jung war überzeugt, dass wir über Kombinationen von Denken, Fühlen, Wahrnehmen und intuitivem Ahnen verfügen, um uns mit unserem Umfeld effektiv auseinanderzusetzen. Unser Hirn liebt fordernde, glaubwürdige Ziele. Wenn wir relevante PRObleme (und nicht CONTRAbleme!) meistern, die unter die Haut gehen, erleben wir unsere Eigenwirksamkeit. Das stärkt unser Selbst-Bewusstsein und Selbst-Vertrauen – zwei zentrale Säulen, die uns gegen Stress und Burnout immunisieren. In unserem immer schnelllebigeren (Geschäfts-)Leben mit steigendem Grad der Komplexität und Ungewissheit, gewinnt das zunehmend an Bedeutung.

Mit Entscheidungen anfreunden, um sie mittragen zu können

Viele Führungskräfte kennen es: Entscheidungen mittragen, bei denen es selbst schwer fällt, einen positiven Zugang zu finden. Wie geht ein Regisseur damit um, ein Stück am Spielplan zu inszenieren, das er nicht besonders mag? Rosee Riggs unterscheidet im Sinn von Bertold Brecht zwischen der sogenannten Fabel, dem was objektiv betrachtet geschieht, und dem Thema, dem worum es ihr dabei geht. Über diesen Weg findet sie für sich einen Zugang, welche interessanten Aspekte ihr wichtig sind und was sie erzählen möchte. Konstruktivisten bezeichnen es Wirklichkeit 1. Ordnung, wie die Dinge sind und Wirklichkeit 2. Ordnung, wie wir die Dinge sehen und wie wir damit umgehen. Letzteres können wir immer (mit-)gestalten.

Fokus auf eine klare Masteridee

Für alle befragten Regisseur:innen ist die Masteridee entscheidend, die sich durch alle Szenen zieht und den einzelnen Rollen, Worten und Handlungen Bedeutung verleiht. Regieprofessorin Anna Luca Krassnigg: „Mein Fleisch muss für das Thema brennen. Dann zieht sich die Masteridee wie eine DNA durch jede Faser der Inszenierung.

Wie viele Unternehmen haben einen so klaren strategischen Fokus, der dem Wirken aller Beteiligten Orientierung bietet? Rosee Riggs klärt zunächst für sich die Idee und bereitet gründlich vor bevor sie Schauspieler:innen einbindet. „Die Aufgabenteilung ist, dass der/die Regisseur:in für das Stück verantwortlich ist und die Schauspieler;innen für ihre Rollen. Je klarer ich das Stück auf den Boden lege, desto handlungsfähiger sind die Schauspieler, ihre Rolle zu entwickeln. Sehr unerfahrene Regisseure denken, die Schauspieler können ganz viel improvisieren. Aber das ist so, wie wenn man mit Legobausteinen baut und dabei die Bodenplatte darunter vergessen hat. Dann findet alles statt, aber es hat keine Beziehung zueinander.“

Umsichtige Besetzung

Für die Unternehmen beginnt zunehmend der Wettbewerb um die besten MitarbeiterInnen. Für den Erfolg eines Theaterabends ist die Besetzung der einzelnen Rollen von entscheidender Bedeutung. Der wesentliche Aspekt des Castings ist die Bedeutung der einzelnen Rolle für die Inszenierung. Rosee Riggs räumt ein, dass die Wahlmöglichkeit beschränkt ist, wenn das Ensemble vorgegeben ist: „Jeder Schauspieler hat eine Persönlichkeit, eine bestimmte Energie und Lebenserfahrung. In gewisser Weise hängt man die Figur an die Psychologie des Schauspielers. Was man auch nicht weginszenieren kann, ist die wahre Beziehung zwischen den Schauspielern. Das wirst Du immer spüren, weil es so elementar ist.“

Anna Luca Krassnigg bekennt sich – ganz im Sinne von Max Reinhardt – als Ensemblemensch. Immer wieder greift sie auf ein bewährtes Team zu, das sie dann für die jeweiligen Inszenierungen um Schauspieler:innen ergänzt, die auch als Persönlichkeit sich stimmig ins Ensemble fügen.

Macher:innen und/oder Ermöglicher:innen?

Einerseits haben RegisseurInnen eine sehr ausgeprägte konzeptionelle Idee. Andererseits sind SchauspielerInnen sehr eigenindividuell. Sie haben große Kraft und viel anzubieten. In einem dialogischen Prozess entsteht so gemeinsam das Theaterstück. In idealer Weise wird so verbunden was in Unternehmen Top-Down- und Bottom-up-Prozesse genannt wird.

Rosee Riggs unterscheidet 2 Arten von Regisseur:innen, die sich durch die Zugänge Zugriff und Zulassen unterscheiden: „Die einen sind eher Dompteur:innen und die anderen Voyeur:innen. Voyeuristisch klingt nach passivem Prozess, ist aber tatsächlich hochaktiv. Je mehr man voyeuristisch führt, desto strahlender kommen die Schauspieler einem entgegen. Je mehr man sie dazu bringt auszuführen, was vorgegeben ist, desto braver ist das Stück. Weil sie dann zu sehr damit beschäftigt sind, Erwartungen zu erfüllen. Alles was der Regisseur ausdrücklich sagt, ist dann tot. Die Schauspieler:innen werden immer versuchen das abzuhaken. Das kommt dann mit einem Impuls von jemand Anderen. Deswegen vermittle ich den Schauspieler:innen, dass ich alles sehe ohne zu bewerten und darauf achte, dass es zur Fabel und zum Thema der Geschichte passt. Natürlich ist es nützlich, manchmal die Qualitäten und Eigenschaften des Dompteurs einzusetzen, falls du proaktiv eingreifen musst oder auch wenn die Schauspieler etwas Input brauchen.“

Sie betont auch die große Bedeutung der Rückmeldung an die Beteiligten. „Was man nicht sieht, findet nicht statt. Die Schauspieler:innen sind aufgrund ihrer Erfahrung in der Lage, die Geschichte zu erfassen, dann haben sie viel mehr Freiheit und Raum und werden richtig kreativ. Wenn sich die Schauspieler nicht gesehen fühlen von den Regisseuren und der Regisseur nicht beschreiben kann, was er gesehen hat, werden sie es nicht mehr zeigen.“ Rosee Riggs nennt diese Art der Ideenvermittlung Projektion.

Im Artikel „Führungsarbeit als Dienstleistung“ im Magazin Training 2/2003 habe ich es sehr ähnlich im Prinzip „Vom Macher zum Ermöglicher“ beschrieben.

High Performance des Ensembles ermöglichen

Anna Luca Krassnigg betont auch, dass sie sich als Ermöglicherin versteht. „Meine Aufgabe ist es, eine Blase von Konzentration und Vertrauen zu schaffen.“ Vertrauen ist die Voraussetzung, dass künstlerischer Flow entstehen kann.

Rosee Riggs begreift ihre Aufgabe als Regisseurin als die Bemühung, einen optimalen Prozess zu erfinden oder zu entdecken, und möglichst optimale Bedingungen zu erschaffen. „Es kommt darauf an, die Menschen zu beschützen und zu fördern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es möglich ist, Regie zu führen, wenn du wenig Interesse an Menschen hast, oder sie gar herablassend betrachtest. Das ist absolut kontra-produktiv. Menschen zu einem kreativen Ergebnis zu bringen, ist eine vielschichtige Herausforderung. Mit Einfühlungsvermögen die Leute anzunehmen, so wie sie sind, mit Wärme und Großzügigkeit, und auf ihren Stärken zu bauen, ist die Voraussetzung für kreative Entfaltung. Ich sage meinen Schauspielen nie, wie sie etwas umzusetzen haben. Da habe ich Vertrauen und es ist kontra-produktiv und demotivierend, den Kontrollfreak auszuhängen. So reduzierst du andere nur auf das, was du selber machen würdest. Das finde ich total langweilig. Du musst dafür eine hohe Wahrnehmung haben. Es ist das Anstrengendste, alles wahrzunehmen und zu verarbeiten. Wenn Leute sich nicht wahrgenommen fühlen, hören sie auf zu geben.“

Die High-Performance-Kultur des Post-Fordismus braucht MitdenkerInnen, MitgestalterInnen und MitwirkerInnen. Eigeninitiative ist gefragt! Werden im Taylorismus nur einzelne Aufgaben delegiert, so geht es im Post-Fordismus in erster Linie um Ergebnis- und Wirkungsverantwortung – was nur gehen kann, wenn Aufgaben, Befugnisse und Kompetenzen aufeinander abgestimmt sind. „Fehlende Anerkennung ist wie eine chronische Vergiftung für Motivation und Leistungsfähigkeit“: unter diesem Titel hat Katrin Terpitz in der Wirtschaftswoche vom 9.2.2010 eine Studie veröffentlicht, wonach es die deutsche Volkswirtschaft Milliarden kostet, dass sich Mitarbeiter nicht wertschätzend geführt fühlen.

Kreativen Raum aufspannen

Systemtheoretisch gilt der Grundsatz, dass eine Entscheidung gut ist, wenn sie die Handlungsoptionen erweitert. Das deckt sich mit der Beschreibung des Probenprozesses der befragten Regisseure. Viele Organisationen wünschen sich mehr unternehmerisches Denken und Handeln. Das geht nur dann, wenn nicht nur Verantwortungsbereiche sondern auch Gestaltungsbefugnisse delegiert werden. Und das setzt wiederum eine lösungs- und lernorientierte Fehlerkultur voraus.

Rosee Riggs über ihre Führungsrolle: „Du kannst nie von anderen verlangen, was du selber nicht bereit bist zu geben. Das ist eine Energiefrage und Menschen haben verständlicher Weise ein sehr genaues Gespür dafür, was fair ist.“

In meiner beruflichen Arbeit als High Performance Coach ist mein zentrales Führungsprinzip „Führen heißt Ausgleich zu schaffen zwischen gemeinsamen Zielen und individuellen Bedürfnissen sowie persönliche Stärken auf gemeinsame Erfolge zu fokussieren“. Statt einer gut-gemeinten, traditionell angestrebten Gleichbehandlung ist es viel sinnvoller, Menschen individuell und fair zu behandeln.

Stimmig agieren

Meine wichtigste Erkenntnis aus den zahlreichen Begegnungen und Gesprächen mit RegisseurInnen und Schauspielern ist die entscheidende Bedeutung der Authentizität und der hellwachen Wahrnehmung. Daraus resultierend Glaubwürdigkeit, Präsenz und eine stimmige Gesamt-Performance. Es wäre fatal, Andere zu imitieren. Vielmehr geht es darum, als individuelle Persönlichkeit, unterschiedliche Rollen glaubhaft zu verkörpern, indem man die Welt durch ihre Augen betrachtet und aus deren Perspektive im Sinn des Themas agiert.

Max Reinhardt, bringt es in seiner berühmten Rede über den Schauspieler auf den Punkt:

„Die Natur verleiht jedem Menschen ein besonderes Gesicht.
Aber im schmalen Flussbett des bürgerlichen Lebens, vom Alltag hin und her gestoßen,
werden die Menschen schließlich so abgeschliffen wie runde Kieselsteine.“

Für SchauspielerInnen im Ensemble sollte gleichermaßen wie für Führungskräfte und MitarbeiterInnen im Unternehmen in Anlehnung an Hermann Hesse gelten: Treue zu sich selbst und Achtsamkeit für Andere – und das auf einer tragfähigen gemeinsamen Basis mit einem klaren, strahlenden Ziel vor Augen.

bullet-15

Von den Besten des Theaters lernen

bullet-15

bullet-15

Über: Monika Herbstrith-Lappe

Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln