Ich selbst bin Mutter einer Lieblingstochter und eines Lieblingssohnes. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist daher seit 1990 ein Lebensthema von mir. Life-in-Balance-Trainings für Frauen UND Männer, die ihre Familienverantwortung leben, gestalte ich daher besonders gerne. Aus eigener Erfahrung und Betroffenheit habe ich zunächst eine Sammlung Tipps für berufstätige Mütter zusammengestellt. Diese gelten natürlich genauso für Väter, die ihren Kinder als Vater erlebbar sein wollen. Auch wenn die Betreuung von Kindern durch ihre Väter noch nicht so selbstverständlich ist, wie bei den Seepferdchen.
In der Betreuung meiner Eltern in deren letztem Lebensabschnitt war der Spagat zwischen beruflichen Verpflichtungen und plötzlich eintretendem Betreuungsbedarf wieder fordernd. Für Menschen, die Betreuungsverantwortung für Angehörige z.B. pflegebedürftige Eltern übernehmen, gelten meine Empfehlungen natürlich sinngemäß auch.
1. Verabschieden Sie sich vom schlechten Gewissen:
Schon vielfach untersucht und immer wieder bestätigt: Kinder von berufstätigen Müttern mit mehreren Betreuungspersonen oder mit Betreuung in öffentlichen Einrichtungen sind nicht unglücklicher als andere. Hüten Sie sich vor „das armes Kinde so klein und muss schon raus“. Ihr Kind ist wunderbar und darf sich in anregender Umgebung entwickeln.
Privat:
Unsere Kultur ist nach wie vor geprägt von einem großteils unreflektierten Mutter-Mythos der Nazi-Zeit. In unserem Verständnis kommen Säuglinge als Rohlinge auf die Welt, die dann von einer treu sorgenden Mutter zu „ordentlichen“ Staatsbürgern erzogen werden müssen. In anderen Kulturen ist man überzeugt, dass Neugeborene wunderbare Menschen sind, auf die man nur aufpassen muss, damit sie nicht verletzt werden. Da geht es dann darum, die Heranwachsenden sich entfalten zu lassen. Meine Kinder mussten und durften vieles eigenverantwortlich tun, wo anderen von der Mutter geholfen wird. Dafür hatten sie viele Erfolgserlebnisse – abgesichert durch „Remote Mama“: Sie wussten immer, dass Monika per Handy und SMS im Notfall erreichbar ist und Problemlösungen auch aus der Ferne in ihrem Sinn organisieren konnte. Die Löwinnenmutter, die lange auf der Jagd ist, und trotzdem ihre Kinder tatkräftig schützt und unterstützt, war das Bild, das ihren Kindern und mir Vertrauen gegeben hat. Es gibt KEINE Studien, die belegen, dass die Kinder von berufstätigen Müttern oder auch Scheidungskinder unglücklicher wären als andere!
Johann Wolfgang von Goethe hat richtig erkannt:
„Kinder brauchen Wurzeln und Flügel.“
Der Neurobiologe Gerald Hüther appelliert auch, dass Kinder Herausforderungen brauchen, an denen sie wachsen und die wertvolle Erfahrung der Eigenwirksamkeit machen können.
Beruflich:
Dafür gibt es Studien, die belegen, dass berufstätige Mütter mit Abstand die produktivsten MitarbeiterInnen sind – das gilt in ganz besonderer Weise für Teilzeitbeschäftigte. Eltern, die Beruf und Familie schaukeln, wissen, wie wertvoll Zeit ist und gehen damit sehr verantwortungsbewusst um. Diese Studien werden nicht veröffentlicht und stattdessen wird das schlechte Gewissen der angeblichen mangelnden Flexibilität geschürt. Immer wieder hört man, dass Teilzeit und Karriere nicht vereinbar ist – für Frauen mit Familie. „Ich bin
maßgeblich für ein wichtiges Projekt verantwortlich. Da gibt es heute Abend um 17.00 Uhr einen nicht verschiebbaren Termin. Daher muss ich meine Zeit genau planen.“ ist die selbstbewusste Alternative zum entschuldigenden „Ich kann nicht bleiben, weil ich meine Kinder vom Kindergarten abholen muss.“
2. Üben Sie sich im Loslassen:
Egal, wer ihr Kind sonst noch betreut, sie bleiben auf alle Fälle seine einzige und damit Lieblings-Mutter bzw. der Lieblings-Vater. Es ist für das Kind durchaus bereichernd verschiedene Betreuungspersonen zu erleben, bei denen Unterschiedliches wichtig oder verboten ist. So lernt das Kind sich auf verschiedene Menschen einzustellen. Es ist ein Spezifikum unserer Kultur, dass es angeblich so wichtig ist, dass das Kind von einer einzigen Bezugsperson konstant betreut werden soll.
3. Delegieren Sie auch Verantwortungen und nicht nur Aufgaben:
Teilen Sie – wenn möglich – die Kinderbetreuung mit Ihrem/Ihrer PartnerIn. Wenn er/sie das Kind morgens zum Kindergarten bringt, dann nicht, um Ihnen zu helfen, sondern weil er/sie auch seine/ihre Verantwortung für das Kind trägt. Wenn er/sie mit dem Kind zum/zur KinderärztIn geht, kümmert er/sie sich auch wirklich darum. Degradieren Sie ihn/sie nicht zum/zur AusführungsgehilfIn, der/die nach Ihrer umfassenden Vorbereitung von Ihnen einen Teil der Aufgabe übernimmt.
4. Andere sind wirklich anders – und dürfen das auch sein:
Es kann Ihnen schwer fallen zusehen zu müssen, dass andere von Ihnen delegierte Aufgaben anders ausführen. Es führen mehrere Wege nach Rom, auch wenn Sie einen bestimmten bevorzugen. Üben Sie sich darin, Ihre Toleranzgrenzen zwar zu wahren, aber möglicherweise zu erweitern.
5. Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche:
Setzen Sie sich klare Prioritäten und wahren Sie den Blick darauf auch in hektischen Zeiten. Hilfreich ist dabei: Was von dem, das jetzt so dringend erscheint, ist auch noch in einer Woche oder einem Jahr wichtig. Als Faustregel gilt: Zeit, die Sie Ihrem Kind schenken, ist nachhaltiger investiert als in die Perfektion des Haushalts.
6. Genießen Sie die Zeit mit Ihrem Kind:
Sie machen dem Kind ein wunderbares Geschenk für’s Leben, wenn es spürt, wie wertvoll Ihnen die gemeinsame Zeit ist. Versuchen Sie so viele Pflichtübungen wie möglich in freudvolle Spiele und Gespräche zu verwandeln. Das Motto:
„Freudvoll TUN statt müssen“
gilt in besonderer Weise auch für die Betreuung Ihrer Kinder: In der inneren Haltung „Auf welche Geschichte freue ich mich, heute Abend vorzulesen?“ oder „Welche Spiele mit den Kindern machen mir Spaß?“ oder „Welche gemeinsamen sportlichen und anderen
gemeinsamen Freizeitaktivitäten tun mir gut?“ ist die Zeit mit den Kindern Ihre regenerative Stresskompetenz oder eine zusätzlich Belastung.
7. Meiden Sie die Stressfalle:
“Ich muss noch schnell …“ ist die Stressfalle schlechthin, die unserer Denkfähigkeit und Produktivität mächtig zusetzt. „Mir ist es wichtig, dass …“ oder „Wenn möglich möchte ich …“ ist zwar die gleiche Anforderung an die Aufgabe, aber ohne die Einengung des Tunnelblicks. So wahren Sie Ihre Kreativität und Leistungsfähigkeit. Die Hirnforschung zeigt übrigens, dass Lachen das beste Mittel gegen Stress ist. Und Ihr Kind bringt Sie doch sicher immer wieder zum herzhaften Lächeln!
8. Nehmen Sie sich Zeit für sich allein:
Bei den vielen Hüten, die berufstätige Eltern auf dem Kopf tragen, kann es immer wieder passieren, dass sie glatt darauf vergessen, dass es sie selbst als Mensch und PartnerIn auch noch gibt. Es ist ein bewährtes Flugsicherheits-Prinzip besagt:
„Zuerst sich selbst mit Sauerstoff versorgen
und erst dann andere Menschen, die Unterstützung brauchen.“
Das gilt nicht nur wörtlich sondern auch im übertragenen Sinn. Alles, was Sie in Ihr Wohlbefinden und in Ihre Lebensfreude investieren, kommt auch den Menschen rund um Sie zugute. Geben Sie sich selbst auch die liebevolle Zuwendung, mit der Sie sonst für andere so großzügig sind. Vereinbaren Sie ein Treffen mit sich selbst. Starten Sie in den Tag mit „Worauf freue ich mich heute?“ und beenden Sie ihn mit einem Eintrag in ihr persönliches Erfolgstagebuch: „Was ist mir heute gut gelungen, was hat mir Spaß gemacht?“
Das viele Unerledigte nimmt sich selbst viel Aufmerksamkeit im Hirn. Dabei übersieht man oft das bereits Erreichte. Im Leistungssport schenkt man Erfolgen und Stärken mindestens 80 % und Misserfolgen und Schwächen nur maximal 20 % der Aufmerksamkeit. Ohne Freude und Spaß ist ein Siegen undenkbar. Selbst beim hohen Tempo der Formel1 vergönnen sich die Fahrer einen Boxenstopp. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wahrlich auch eine Hochleistung!
9. Lassen Sie sich nicht von den Vorzeigefrauen und -vätern irritieren:
Sie kennen wahrscheinlich das Gefühl: “Was ist nur falsch mit mir, dass ich mich immer wieder überfordert fühle?“ Die bekannte Autorin Julia Onken bricht im Buch „Hilfe, ich bin eine emanzipierte Mutter“, das sie gemeinsam mit Ihrer Tochter Maja geschrieben hat, ein Tabu unserer Zeit. In einem EMail-Wechsel beklagt sich die Tochter, warum ihr niemand gesagt hat, wie fordernd bis überfordernd es sein kann, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Die Gesellschaft und auch ihre Mutter haben ihr vermittelt, dass es nur eine Frage des Willens und der Organisation ist. Dann ist die Mehrfachbelastung gut zu schaffen und den Frauen/Männern stehen die Möglichkeiten offen.
Vorzeigefrauen/-väter erzählen auch immer wieder, wie es Ihnen gelingt, die unterschiedlichen Rollen zu meistern. Gehen Sie davon aus, dass auch diese zwischendurch das Gefühl der Erschöpfung kennen und ihnen möglicherweise wesentlich mehr Unterstützung zur Verfügung steht als Ihnen. Wenn Sie also einen Durchhänger haben, sollten Sie es zumindest unterlassen, dafür auch noch selbstgeißelnd die Schuld bei sich zu suchen. Nehmen Sie sich lieber fürsorglich-liebevoll in den Arm – so wie Sie Ihre Lieben trösten und ermuntern würden.
10. Lassen Sie sich nicht gegeneinander ausspielen:
“Sie sind eine Rabenmutter, wenn Ihre Kinder groß sind, werden sie Ihnen Vorwürfe machen.“ habe ich als Karrierefrau mit zwei Kindern immer wieder gehört. Dafür werden Frauen, die in kinderloser Paarbeziehung leben mit dem Vorwurf „Das ist egoistisch und im Alter werden Sie einsam sein“ konfrontiert. Bei Single-Frauen ist es „kein Wunder, dass kein Mann sie will, karrieregeil wie sie ist.“ Umgekehrt heißt es für Frauen, die kinderbedingt auf Karriere verzichten, dass das kein zeitgemäßes Modell ist, dass es schließlich andere Frauen ja auch schaffen, und dass ihnen die Decke auf den Kopf fallen wird, wenn die Kinder außer Haus sind.“ Meine Moral von der Geschichte? In allen Lebensmodellen werden sie mit Vorwürfen konfrontiert. Sie haben daher die volle Wahlmöglichkeit! Gegenseitige Achtung für das individuell-stimmige Lebenskonzept hilft allen weiter.
11. Von der Mehrfach-Last zur Lust an der Vielfalt:
Ja stimmt, Frauen tragen den Großteil der Doppelbelastung zwischen Beruf und Familie. Allerdings ist es auch bereichernd, wenn man einerseits beruflich Erfolge erzielt und andererseits zu den Kindern eine intensive Beziehung leben darf. Es ist eine gesellschaftlich bedenkliche Verzerrung, wenn das Thema „Väterkarenz“ als Frauenthema diskutiert wird – nach dem Motto: Die Väter müssen die Frauen entlasten. Der Ansatz sollte vielmehr sein, dass man es Männern ermöglicht, auch ihre Vaterrolle zu leben und ihrer ureigensten Vater-Verantwortung
gerecht zu werden. Genießen Sie möglichst oft und bewusst das viele Schöne, das es im Zusammenleben mit Kindern gibt.
Ich konnte meinen Kindern sicher nur eine relativ geringe Zeit-Quantität bieten. Dafür haben sie sehr oft erlebt, wie sehr ich mich auf die Zeit mit ihnen freute, dass mir gemeinsame Zeit mit Ihnen etwas ganz besonders Wertvolles ist. Das ist die Grundlage für eine vertrauensvolle Beziehung mit jeder Menge Gesprächsstoff.
Setzen sie klare Prioritäten. Die – private & berufliche – Lebensqualität Ihrer Familie – Sie selbst einschließlich! – sollte dabei ganz oben stehen.
Gemeinsame & individuelle freudvolle Rituale in ihren Alltag zu integrieren, fördert einerseits die heitere Gelassenheit und mehrt andererseits
die Glücksmomente.
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Über: Monika Herbstrith-Lappe
Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln
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