Unser Hirn ist optimiert, um bestmöglich unser Überleben zu sichern. Allerdings waren die Rahmenbedingungen während der Entwicklung unseres Hirns die des Rudels in der Steppe. Angst ist das intensivste Gefühl in unserem Hirn – soll es doch vor Gefahren schützen. Stress erzeugt Tunnelblick. Das schränkt unsere Wahrnehmungsfähigkeit drastisch ein und hemmt unsere rationale Denkleistung. Die von den frühzeitlichen Umweltbedingungen geprägten Denk- und Handlungsmuster sind häufig kontraproduktiv für die aktuellen Risikofaktoren.
Warum Ängste so mächtig sind
„Jäger zum Abschuss freigegeben“ ist der Titel eines Beitrags vom 8.1.2014 im Standard. Die australische Regierung möchte den Artenschutz teilweise aufheben und große Haie töten, weil die Anzahl der Todesfälle durch Haibisse zugenommen habe: in den vergangenen 100 Jahren sind in den Gewässern Westaustraliens 20 Menschen einem Hai zum Opfer gefallen, davon sieben in den letzten drei Jahren. Weltweit töten jedes Jahr Haie im Mittel fünf bis zehn Menschen – und Menschen im Mittel 70 bis 100 Millionen Haie, kontert Greenpeace. Tatsächlich sterben in Österreich viel mehr Menschen an Rehen. Werden zukünftig rehbraune Augen in Thrillern statt in Heimatfilmen zu sehen sein? Niemand käme auf die Idee, Hausarbeit zu bekämpfen, weil dabei am meisten Menschen verunfallen. Oder weltweit Autos zu verbieten, weil sie in 100 Jahren deutlich mehr als 20 Tote verursacht haben. Ängste und Phobien haben ihre Ursache häufig in diesen archaischen Mustern. Monster aus der Tiefe, Absturz aus der Höhe, Fluchtweg abgeschnitten, Tiere, die sich schlängeln oder mehr als 4 Beine entsprechen den urzeitlichen Gefahren und geben den Stoff für Nervenkitzel in Mainstream-Filmen.
Dazu Mark Twain:
„The worst things in my life never happend“.
Denn nichts ist so schlimm, wie die Angst davor.
Warum wir Risiken so schlecht einschätzen können
Wie wir beim Einschätzen von Chancen und Risiken häufig gründlich daneben liegen, wird auch dadurch verdeutlicht: es ist 100 000 mal wahrscheinlicher trotz Pille schwanger zu werden als im österreichischen Lotto zu gewinnen. Und trotzdem halten wir die Pille für ein sicheres Verhütungsmittel und investieren unser Geld in die drastisch kleinere Chance des Lottogewinns. Der Physiker und Hirnforscher Stefan Klein beschreibt in seinem Buch „Alles Zufall“ viele eindrückliche wissenschaftliche Studien, wie wir dazu neigen, Risiken auszublenden. Das gilt ganz besonders, wenn wir Chancen wittern und noch mehr, wenn wir unter Erfolgsdruck stehen. Wir gehen z.B. riskante Überholmanöver ein. Auf dem Spiel stehen Menschenleben – gewinnen können wir wenige Minuten, die wir früher ankommen. Oder für die vage Aussicht auf mehr Rendite riskieren wir unser Kapital.
Bias nennt man in der Statistik diese systematisch verzerrten Einschätzungen. Rolf Dobelli hat eine beeindruckende Sammlung wissenschaftlich nachgewiesener, psychologisch bedingter Fehlleistungen in den beiden Bestsellern „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klaren Handelns“ griffig beschrieben.
Angst ist ein schlechter Ratgeber
Angst lähmt uns. Angst vor dem Scheitern erhöht das Risiko des Scheiterns. Wenn wir den Baum fixieren, gegen den wir auf KEINEN Fall fahren möchten, folgt die Bewegung unseren Augen – und wir treffen den Baum. Darum wird auch in Fahrsicherheitstrainings empfohlen, auf den Zwischenraum zwischen den Bäumen zu fokussieren.
- „Was sind die Frühanzeichen der Gefahr, auf die ich aufmerksam achten sollte?“
- „Was braucht es, um das Risiko abzusichern und die Hürden souverän zu meistern?“
sind zielführende Fragen, um kritische Passagen heil zu überstehen.
Leichtsinn ist gefährlich
Auf dem Beitragsfoto erfreuen wir uns daran, dass beim Tauchen auf Brother Islands im Roten Meer ein Weißspitzen-Hochseehai zwischen meinem Mann und mir nahe an uns vorbeischwimmt. Unsere Körperhaltung spricht für unser freudig-entspanntes Interesse an diesem mehrere Meter langem Raubfisch. Ein Taucher von einem anderen Schiff wollte über unsere Köpfe hinweg auf den Hai zuschwimmen und ihn berühren. Das ist nicht mutig sondern gefährlich, fahrlässig und verantwortunglos. In diesem Fall bin ich sogar handgreiflich geworden und habe dem Taucher den Arm weggeschlagen, um den Hai und uns zu schützen. Der Hai ist ein Raubtier und dementsprechend achtsam ist ihm zu begegnen.
Tatsächlich sind durch verantwortungsloses Handeln von Taucher:innen und Boots Crews rund um Brother Islands einige Haiunfälle passiert. Die Ursache liegt im Verhalten der Mensche – nicht der Tiere.
Das Erfolgstrio für das Meistern von Krisen:
- realistische Einschätzung der Situation: Kopf in den Sand zu stecken, Gefahren zu negieren oder zu verharmlosen hat schon so Manchem das Genick gebrochen.
- souveräne Gelassenheit: im militärischen Führungsverfahren ist der Feldherrnhügel bedeutsam. Aus der Distanz fällt es leichter den Überblick zu wahren und zielführende Strategien zu entwickeln. „Wie werde ich in einiger Zeit auf die Episode blicken?“ oder „Wenn das meinem Freund passiert wäre, was würde ich ihm empfehlen?“ sind andere Möglichkeiten, Überblick verschaffende Distanz zu wahren.
- Lösungsorientierung, Zuversicht, Selbstvertrauen: „Wie gehe ich mit der jetzigen Situation bestmöglich um?“, „Was stimmt mich zuversichtlich, dass ich es schaffen werde?“, „Wie könnte ein Plan B aussehen?“, „Auf welche Sicherheitsnetze kann ich vertrauen?“, „Wie kann ich mir Unterstützung organisieren?“ erhöht die Erfolgschancen des Vorhabens.
Eine schwedische Volksweisheit fasst Resilienz, die Überlebensfähigkeit treffend zusammen:
„Auf das Beste hoffen,
auf das Schlimmste gefasst sein
und es nehmen, wie es kommt.“
In Anlehnung an eine chinesische Weisheit gilt auch:
„Angst klopft an. Vertrauen öffnet die Tür. Keiner da.“
Tatsächlich ist Zuversicht die beste Haltung, um Ängsten zu begegnen. Und überwundene Ängste stärken das Selbstvertrauen.
Mit Warnungen Gehör finden
Wenn es Ihnen schwer fällt, sich mit Risikobewusstsein und Sicherheitsthemen Gehör zu verschaffen, können Sie auch noch diesen Witz erzählen – er ist aktueller denn je:
Ein Mann springt aus dem 10. Stockwerk eines Hochhauses. Beim 2. Stockwerk winkt er hinein: „Ihr Risikomanager, nichts ist geschehen, 80 % überlebt.“ Im 1. Stockwerk: „90 % geschafft. Wann glaubt Ihr es endlich, dass Springen gefahrlos möglich ist?!?“ Wenige Zentimeter über dem Erdboden: „Geschwindigkeit ist geil!“ Wenn er nach der Landung noch sprechen kann: „Ich kann nichts dafür. Ohne Boden wäre es ein erfolgreicher Sprung gewesen. Den Boden haben andere gemacht.“
Diesen Witz habe ich sehr gerne auch schon vor der Finanzkrise von 2008 erzählt. Er entkräftet das häufig verwendete Killerargument „Es ist noch nie etwas geschehen“ wie Nassim Talebs Geschichte vom Truthahn, der an die tägliche Fürsorglichkeit von Menschen glaubt – bis Thanksgiving kommt.
Über: Monika Herbstrith-Lappe
Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln
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