Christoph Wirl, Herausgeber des Magazins TRAiNiNG hat mit mir ein Interview zum Thema

Führen aus der Distanz

geführt.

Viele Mitarbeiter:innen und auch Führungskräfte arbeiten weiterhin aus dem Home Office. Viele Möglichkeiten der unmittelbaren Führung fallen damit weg.

Und es bieten sich auch neue Chancen.

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Führen aus der Distanz ist nichts Neues, nun aber besonders ins Augenmerk gerückt. Was ist das Besondere daran?

Aus der Distanz zu führen geht nur auf einer Vertrauensbasis. Ja, es gibt sie auch: Führungskräfte, denen es an Vertrauen mangelt. Daher verlangen sie von Mitarbeitenden, dass sie die Kamera eingeschaltet haben, um immer kontrollieren zu können, ob sie auch wirklich bei der Sache sind. Das karikiert dieses Führungsmodell und ist höchst ineffektiv. Mikromanagement funktioniert aus der Ferne nicht. Wenn die Mitarbeitenden eigenständiger arbeiten sollen und in der Operative mehr auf sich selbst angewiesen sind, braucht es umso klarere Ziele und Strategien, an denen sich alle Beteiligten orientieren können.

Siehe auch Blogbeitrag:

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Welche Vor- und Nachteile hat es?

Abgesehen davon, dass viele Führungskräfte und auch Mitarbeitende Home Office sehr schätzen, kann Distance Leadership auch ein wertvoller Treiber für einen Kulturwandel der Führung darstellen. Führungskräfte widmen sich mehr ihren ureigensten Führungsaufgaben z.B. Strategiearbeit und Planung. Die Mitarbeitenden bekommen mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Ihr eigenständiges Arbeiten wird gefördert.

Der große Nachteil besteht darin, dass viele informelle Kommunikationsmöglichkeiten wegfallen. Da steht die Falle von Missverständnissen und Konflikten besonders weit offen. „Am meisten Zeit kosten die Gespräche, die man nicht geführt hat“ gilt bei Distant Teams umso mehr. Viele erleben Online-Meetings für wesentlich effektiver als Präsenzzusammenkünfte. Das ist ein großer Vorteil. Daneben sollte man aber auch Online-Möglichkeiten zu menschlichen Begegnungen für den Zusammenhalt des Teams nutzen. Am allerbesten ist es natürlich, wenn man sich zumindest fallweise persönlich begegnen kann.

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Führungskräfte haben weniger Möglichkeiten atmosphärische (Miss-)Stimmungen im Team und (Un-)Zufriedenheit von Teammitgliedern zu erkennen. Daher ist es wichtig, diese bewusst z.B. in 4-Augengesprächen zu hinterfragen.

Für kreative Prozesse wäre räumliche Nähe auch sehr förderlich. Zum Glück sprießen gerade unzählige Online-Tools aus dem Boden, die auch hier sehr wirkungsvolle Alternativen bieten.

Da Home Office ein viel größeres Bewusstsein für das Führen aus der Distanz geschaffen hat, bieten sich plötzlich für das Führen von Mitarbeiter:innen an anderen Standorten, Ländern und Kontinenten viel mehr Möglichkeiten. Abgesehen von größeren Zeitunterschieden ist es von nachrangiger Bedeutung, in welcher Region die Mitarbeitenden im Home Office sitzen.

Für mich als Liebhaberin tropischer Riffe durchaus ein attraktives Angebot; Urlaubsdestinationen bewerben schon das Distance Working unter Palmen.

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Wie kann diese Art von Führung gelingen? Was muss die Führungskräfte anders/neu machen?

Führen über Distanzen hinweg braucht auch mehr Klarheit in der Kommunikation. Gemeinsame Ziele und gegenseitige Erwartungen müssen möglichst unmissverständlich vereinbart werden. Es braucht auch mehr Qualität im Delegieren. Sinnvoll ist, dass Führungskräfte das „WAS soll erreicht werden“ vorgeben und das „WIE schaffen wir das“ den Mitarbeitenden überlassen. Allenfalls für das WIE der Ausführung einen Rahmen und Qualitätskriterien vereinbaren. Da die Möglichkeiten der spontanen Improvisation eingeschränkt sind, braucht es auch mehr Transparenz bzgl. Prozessen und Verantwortung der unterschiedlichen Rollen im gemeinsamen Schaffen. Dem effektiven Zusammenwirken an den Verbindungsstellen zwischen unterschiedlichen Verantwortungsbereichen sollte man allergrößtes Augenmerk schenken. Von entscheidender Bedeutung ist, dass in Unternehmen die übertragene Verantwortung auf der einen Seite und die delegierten Gestaltungsmöglichkeiten, um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, ausgewogen sind. Teilaufgaben zu delegieren ist nicht effektiv und es endet leicht Lose-Lose in beiderseitigen Enttäuschungen. Viel klüger ist es Verantwortungsbereiche mit den dazugehörigen Entscheidungsbefugnissen zu delegieren. Achtung: Entscheidungen betreffen immer die Zukunft. Daher sind sie mit dem Risiko des Unbekannten behaftet. Es kann sich immer im Nachhinein herausstellen, dass eine andere Wahl zielführender gewesen wäre. Ganz dringend braucht mehr unternehmerisches Denken der Mitgestaltenden eine Fehlerkultur und den Mut zum Irrtum.

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Welche Voraussetzungen bedarf es im Unternehmen, damit es funktioniert?

Wenn er noch nicht vollzogen ist, braucht es spätestens beim Etablieren von Distance Leadership einen Paradigmenwechsel in der Führung: während früher die besten Expert:innen die Führungsrolle übertragen wurde und diese sich dann häufig als Befehlsausgebende verstanden haben, ist die neue Rolle der Führungskräfte, dass sie Orientierung geben und das Team „orchestrieren“. Führungsstärke besteht nicht nur im entschlossenen Zupacken sondern mindestens genauso im vertrauensvollen Zulassen.

Umgekehrt sozialisieren die meisten unserer Bildungseinrichtungen junge Menschen zu Befehlsempfangenden. Bei Prüfungen geht es darum, die Antworten zu liefen, die gute Noten ermöglichen. Eigenständiges Denken ist nur bedingt erwünscht. Wenn Mitschaffende über Distanz geführt werden, brauchen diese jedoch sehr viel Eigeninitiative und Eigenverantwortung. Eigenwirksamkeit und kluges Self-Leadership sind gefragt. Einerseits in Bezug auf Erfüllung der Aufgaben und andererseits auch emotional bezüglich Eigenmotivation.

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Über: Monika Herbstrith-Lappe

Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln