So wie Pflegepersonal auf Stationen mit hochansteckenden PatientenInnen viel für ihre Hygiene tun und ein intaktes Immunsystem brauchen, ist es sinnvoll in unserem dynamischen Arbeitsumfeld eigenverantwortlich auf unsere Psychohygiene und unser mentales Immunsystem zu achten. Den Führungskräften spielen dabei eine prägende Rolle.
Christoph Wirl, Herausgeber des Magazins TRAiNiNG hat mit einigen ExpertInnen, so auch mit mir ein Interview zum Thema „Gesunde Führung“ gemacht. Hier meine ausführlichen Antworten:
C.W.: Wer sollte sich im Unternehmen um das Thema „Gesundheit“ kümmern? HR, Führungskräfte?
Es kann nur funktionieren, wenn ALLE – in unterschiedlichen Rollen – das Thema Gesundheit leben und vorleben. Unser Hirn ist dafür gebaut, Herausforderungen zu meistern und dadurch die Eigenwirksamkeit zu stärken. „Selber“ und später „Ich kann das schon alleine.“ fordern schon kleinste Kinder ein, dass Sie dieses gute Gefühl, ich kann mir selbst helfen, erleben dürfen. Ohnmachtsgefühl, Situationen hilflos ausgeliefert zu sein, sich fremdgesteuert zu fühlen ist hingegen nicht nur frustrierend sondern auch ungesund. Alles was Eigenwirksamkeit stärkt, ist Teil der Lösung. Alles was sie reduziert fördert das Problem. Es führt zu Nocebo-Effekten, ich glaube an meine Hilfsbedürftigkeit und fühle mich gleich noch hilfloser. So wie man bei Placebo-Effekten an die Heilung glaubt und das heilsam ist. „Was können Sie zu Ihrer nachhaltig-gesunden Leistungsstärke beitragen und wie kann ich als Führungskraft Sie darin unterstützen?“ sind die Leitfragen für die Hilfe zur Selbsthilfe.
Neben der Vorbildwirkung ist es wesentlich, dass Führungskräfte gesundheitsfördernde Maßnahmen nicht nur dulden, sondern auch bestärken und fördern.
HR – ich nenne es lieber „People & Culture“ – sollten dafür einerseits einen gesunden Nährboden schaffen, Konzepte zur Verfügung stellen und Werkzeuge anbieten. Die mahnenden Worte von Peter Drucker
„Kultur verspeist Strategie zum Frühstück.“
gelten auch ganz besonders für das Thema Gesundheit. Wenn in der Unternehmenskultur die Stressverstärker „Sei stark!“ und „Streng dich an!“ weit verbreitet sind, wird die beste Gesundheitsstrategie nicht aufgehen. Da werden dann gesundheitsfördernde Maßnahmen wie z.B. Methoden des Regenerierens und Entspannens als Zeichen der Schwäche missverstanden. So wie Napoleon gemeint hat: „Nur ein Crétin braucht mehr als 6 Stunden Schlaf.“ Das Thema Gesundheit braucht einen Paradigmenwechsel. Von Nivea hat es einmal den provokanten Werbeslogan für eine Männerpflegeserie gegeben: „Ihr Auto pflegen Sie ja auch.“ „Boxenstopp für High Performer“ nenne ich daher häufig gesundheitsfördernde Energietankstellen. Gesundheitsfördernde Maßnahmen gehen weit über Krankheitsvermeidung hinaus. So wie LeistungssportlerInnen selbstverständlich auf gesunde Ernährung, körperlich Fitness etc. achten, sind auch LeistungsträgerInnen im Unternehmen – und damit hoffentlich alle MitarbeiterInnen und insbesondere alle Führungskräfte – gefordert, auf ihre Gesundheit und damit ihre nachhaltige Leistungsfähigkeit zu achten.
C.W. Wie kann ein gesundheitsorientierter Führungsstil aussehen?
Arbeitszeit ist Lebenszeit. Insofern ist auch der Begriff „Work-Life-Balance“ völlig irreführend. Vermittelt es uns doch den Eindruck, dass Arbeit im Gegensatz zu Leben steht. Es geht um ein „Life-in-Balance“. Balance zwischen den unterschiedlichen Lebensbereichen und innerhalb der einzelnen Lebensbereiche – auch innerhalb der beruflichen Lebenszeit. Joachim Bauer vermittelt in seinem Buch „Arbeit: Warum sie uns glücklich oder krank macht“ wissenschaftliche Studien, wie unsere vorherrschenden Arbeitsstrukturen das Risiko zu erkranken drastisch erhöhen.
„Häufig leiden wir darunter,
dass wir so viel arbeiten
und so wenig Aufgabe haben.“
bringt es Helmut Walters auf den Punkt. Das Hamsterrad wird von innen leicht mit Karriereleiter verwechselt, so brennen wir aus. Beglückend ist hingegen Freude am sinnvollen Schaffen – UND rechtschaffen müde, dann wieder freudvoll aufzutanken und zu regenerieren.
Daher sind meine Lieblingsfragen für MitarbeiterInnen-Gespräche: „Was macht Ihren Einsatz wertvoll? Welchen Nutzen bewirken Sie? Was ginge verloren, wenn Sie Ihre Aufgaben nicht oder nicht gut erfüllen würden? Was macht Ihre berufliche Lebenszeit zu sinnvoller Lebenszeit?“ Und auch die Frage: „Was sind in Ihrer Freizeit Ihre persönlichen Quellen des Auftankens?“ ist im Rahmen von MitarbeiterInnen-Gesprächen höchst sinnvoll. Menschen, die sich in ihrer Freizeit regenerieren können, sind in hohem Maß gegen Stress immunisiert. Wenn jemand meint, das ginge die Führungskraft nichts an, so sehe ich das anders. Wenn ich ein Mietauto übernehme, habe ich das Recht darauf, es aufgetankt zu starten. Und so habe ich auch als Führungskraft ein Recht darauf, dass MitarbeiterInnen mit aufgeladenen Akkus von der Freizeit in die Arbeit kommen. Allenfalls könnte ich die geschlossene Frage stellen: „Haben und nutzen Sie Quellen des Auftankens?“ Dabei ist entscheidend: „Freudvoll TUN statt MÜSSEN.“ Ich muss noch laufen oder gar für den Business Run trainieren, weil ich will mir ja keine Blöße geben, lässt Sport zu Freizeitstress verkommen. Zum Ausgleich zu meiner „kopfigen“ beruflichen Tätigkeit liebe ich es am Abend zu kochen oder im Garten zu werken oder meine Wohnung zu renovieren, macht Arbeit zu Hause zu regenerativer Stresskompetenz.
C.W.: Welche Grenzen gibt es hier für Führungskräfte?
Wie bei allem anderen auch, geht beim Thema Gesundheit gar nicht „Wasser zu predigen und Wein zu trinken“. Vorbild wirkt 1000 x mehr als Vorschrift. Völlig kontraproduktiv – siehe oben – wäre der Ansatz: „Ihr braucht Gesundheitsförderung und ich als starke Führungskraft bin darüber erhaben. Ich halte es aus eisern und beinhart, lang und pausenlos zu arbeiten.“
Weit offen steht auch die „Gut-gemeint-Falle“:
„‘Lass dir aus dem Wasser helfen oder du wirst ertrinken‘
sprach der Affe – und setzte den Fisch auf den sicheren Baum.“
N.N.
So meinen sportliche Führungskräfte, die ganz unrund werden, wenn sie sich länger nicht bewegen können, bei allen ihren MitarbeiterInnen müsse das auch so sein. Oder weil sie selbst gerne meditieren, müssen das auch alle anderen gut tun. Doch so wie Glück ein Maßanzug ist, ist es auch das Thema Regenerieren, Entspannen und Auftanken. „Wie gut weißt du, was Dir jetzt gut tut?“ ist eine höchst gesundheitsfördernde Nachdenk-Frage. Bei manchen Menschen ist es Bewegung in den unterschiedlichsten Formen. Bei anderen zur Ruhe kommen – von Liegestuhlliegen bis sanfter Massage. Bei wieder anderen manuelle Tätigkeiten. Oder musisch Kulturelles. Viele Regenerieren auch mit Menschen, die Ihnen gut tun. Andere in Zeiten, in denen sie mit sich selbst allein sind. Wärme oder erfrischende Kühle können Quellen des Auftankens sein. Denen einen tut der Trubel der Städte gut, um runter zu kommen, den anderen die Ruhe der Natur. Als Unternehmen ist es hier auch wichtig, Vielfältiges anzubieten, um der Vielfalt der Menschen gerecht zu werden.
C.W.: Inwieweit sind die positiven Auswirkungen nachhaltig messbar?
In einer verdeckten wissenschaftlichen Studie wurde behauptet messen zu wollen, wie sich Ergonomie des Arbeitsplatzes auf die Rückenmuskulatur auswirkt. Dazu ließ man die zwei Gruppe jeweils nur 8 Minuten entweder ergonomisch aufrecht oder unergonomisch gekrümmt sitzen. Danach hat die aufrecht sitzende Gruppe im Mittel 20 % längeres Durchhaltevermögen als die andere Gruppe vollbracht. Alles was Sie für die Ergonomie am Arbeitsplatz und die Rückengesundheit tun, tun Sie auch für die Leistungsstärke Ihrer MitarbeiterInnen. Pimp my Brain nenne ich das: Bei weniger Einsatz mehr bewirken – und das auf freudvoller Basis.
Übrigens „Evaluierung psychischer Belastungen“ ist der oben beschriebene kontraproduktive Nocebo-Effekt in Reinkultur. Ich werde so lange gefragt, worunter ich leide, bis es mir wirklich schlecht geht. „Evaluierung psychischer Rahmenbedingungen“ heißt das daher bei mir, in denen ich frage: „Was ist für Sie förderlich und welche Verbesserungen würden Ihnen noch gut tun?“ „Was können Sie ändern und welche Unterstützung benötigen Sie dazu von anderen?“
C.W.: Welch weiteren Möglichkeiten gibt es um das Thema im Unternehmen zu verankern?
„Für die Einen lohnende Herausforderung und für die Anderen krankmachender Stress“ – der Unterschied besteht in der mentalen Stresskompetenz. Diese auf den Punkt gebracht:
„Das wirkliche Problem ist
die Größe des Problems
MINUS meinem Zutrauen in die Lösungsmöglichkeiten.“
N.N.
Das ist humorvoll verpackt die schulmedizinische Definition von krankmachendem Stress nach Lazarus 1984:
„Stress ist die Störung des Gleichgewichts
zwischen Anforderung an eine Person
und den Möglichkeiten, mit den Anforderungen umzugehen.“
Und er betont dabei, dass die subjektive Einschätzung entscheidend ist. „Was stimmt mich zuversichtlich, dass ich es meistern werde?“ „Was habe ich schon geschafft und was traue ich mir daher zu?“ sind zwei Leitfragen der mentalen Stresskompetenz. Selbstvertrauen ist für das mentale Immunsystem von zentraler Bedeutung. Wesentlich krankmachender als Arbeitslast sind Konflikte – ganz besonders nicht offen ausgetragene schwelende. Eine Gesprächs- und Konfliktkultur sind für die mentale Gesundheit genauso wichtig wie eine Kultur der Fehler, des Irrtums und des Lernens. Entkatastrophisieren von kritischen Situationen geht mit stressmindernden Gedanken wie „Was kann schlimmstenfalls passieren?“ oder „Irgendwann finde ich es lustig, dann können wir doch auch gleich darüber lachen.“ Humor, gute Laune, Glück und Zufriedenheit sind schulmedizinisch nachweislich höchst gesund. So haben 2 Minuten Lachen die gleiche lebensverlängernde Wirkung wie 20 Minuten Joggen. Und die gute Nachricht: Man kann es miteinander kombinieren.
Hier können Sie den aufgrund der Interviews von Christoph Wirl verfassten Artikel „Gesunde Führung“ lesen.
Vertiefende Blogs zum Nachlesen:
Über: Monika Herbstrith-Lappe
Geschäftsführende Unternehmerin von Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH, High Performance Coach, Keynote Speaker, Top Trainerin, Certified Management Consultant, Autorin von Büchern und Fachartikeln
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